Neuroorthopädie: Welche Erkrankungen zählen dazu und wie werden diese behandelt?

Die Neuroorthopädie umfasst Erkrankungen, die aufgrund von Veränderungen der Muskelfunktion Bewegungsapparates führen. Diese Erkrankungen sind in der Regel nicht ursächlich zu therapieren. Die Neuroorthopädie befasst sich daher mit der Vorbeugung und Korrektur sekundärer Fehlbildungen.

Nerven- und Muskelerkrankungen führen zu Veränderungen der Muskelfunktion und schränken dadurch Bewegungen ein. Es können Lähmungen auftreten. Der Bewegungsapparat passt sich an diese Einschränkungen an, verformt sich und im Laufe der Zeit entstehen Fehlstellungen. Aufgrund dessen kann es zu vorzeitigen Abnutzungen und Schmerzen kommen.

Wichtig ist eine entsprechende Förderung und die Vorbeugung bzw. Behandlung zusätzlich auftretender Probleme. Solche sind zum Beispiel Bewegungseinschränkungen, -mangel und einseitige Belastung. Davon ist das Erreichen einer ausreichenden Mobilität und Selbstständigkeit und damit später einer verbesserten Lebensqualität abhängig.

Therapie:

Das wichtigste Ziel ist es eine langfristige, schmerzfreie Mobilität bis ins Erwachsenenalter zu erreichen. Dafür ist es notwendig rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von fixierten Fehlstellungen zu ergreifen. Ein entsprechendes Therapiekonzept wird von uns individuell für und mit Patient*innen, Eltern und ggf. Betreuer*innen oder den entsprechenden Einrichtungen besprochen und erstellt.

Natürlich werden hierbei auch die jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche des Patienten berücksichtigt. Der Fokus liegt dabei auf einer optimalen effektiven, aber auch sanften Therapie. Diese kann mit kindgerechten Orthesen oder anderen Hilfsmitteln und Bewegungstherapie sowie Physiotherapie erreicht werden.

Manchmal sind auch Operationen notwendig. Dabei wird das Wachstum ausgenutzt um mit möglichst geringem Aufwand dieses Ziel zu erreichen. Das Therapiekonzept wird, wenn notwendig, bei auftretenden positiven oder negativen Veränderungen des Bewegungsapparates entsprechend angepasst.

Interdisziplinäre Behandlung:

Wichtig ist in der Behandlung von neuroorthopädischen Patienten ein interdisziplinäres Denken und eine multiprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen und Einrichtungen.

Die enge Kooperation mit verschiedenen Orthopädietechnik-Firmen ermöglicht eine optimale Versorgung mit orthopädischen Orthesen und Hilfsmitteln für unsere Patienten.

Weiterhin besteht eine enge Kooperation mit der Neuropädiatrie in unserem Haus. Hier können zum Beispiel weitere Abklärungen und Untersuchung sowie Therapie bei neuroorthopädischen Krankheitsbildern oder auch eine Epilepsietherapie durchgeführt werden.

Für die Beratung und Betreuung chronisch kranker Patienten wird unsere Sozialpädagogin eingebunden, um zu einem möglichst selbstständigen Leben innerhalb unserer Gesellschaft zu verhelfen. Auch eine Reha-Maßnahme kann zum Beispiel über sie oder unseren Sozialdienst eingeleitet werden. Dabei wird bei der Auswahl der möglichen Reha-Kliniken auf eine auf Kinder und Jugendliche und mit der jeweiligen neuroorthopädischen Grunderkrankung spezialisierte Einrichtung geachtet.

Als zentrale Anlaufstelle bündeln wir damit sämtliche Therapieleistungen rund um die Neuroorthopädie. Es ist die vordringliche Aufgabe, für unsere Patient*innen ein Behandlungsteam zusammenzuführen, das sich um die verschiedenen Aspekte der oft komplexen neurologischen Krankheitsbilder kümmert.

Infantile Cerebralparese

Unter dem Krankheitsbild der infantilen Cerebralparese versteht man Bewegungsstörungen, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung liegt. Diese ist bedingt durch einen Sauerstoffmangel vor, während oder kurz nach der Geburt, der zu einem Absterben von Nervenzellen führt.
Die dadurch hervorgerufene Behinderung ist charakterisiert durch Störungen des Nervensystems und der Muskulatur im Bereich der willkürlichen Motorik. Am häufigsten sind hierbei spastische Mischformen und eine Muskelhypertonie.

Diagnostik und Therapie:

Im Mittelpunkt der Behandlung der infantilen Cerebralparese steht eine multidisziplinäre Therapie aus unterschiedlichen medizinischen und therapeutischen Bereichen. Diese sollte so früh wie möglich im Verlauf der Erkrankung beginnen. Hierbei stehen unterstützende konservative Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, die durch spezielle medikamentöse Therapien und konservative orthopädische Kontrakturvorbeugung durch verschiedene orthopädietechnische Hilfsmittel unterstützt werden, im Vordergrund der Behandlung. Erst bei einem fortschreitenden Verlauf, der Ausschöpfung aller konservativen Maßnahmen und unter sehr strenger Operationsindikation sollten operative Maßnahmen zum Einsatz kommen.


Im Rahmen unserer Kinder- und Neuroorthopädischen Sprechstunde wird die notwendige Hilfsmittelversorgung bei Bedarf in Zusammenarbeit mit einer der kooperierenden Orthopädietechnikerfirmen durchgeführt und auch überprüft, so dass für den jeweiligen Patienten das optimal funktions- und passgerechte Hilfsmittel gefertigt werden kann. Die Orthopädietechnik stellt vor allem Hilfsmittel zur Kontrakturprophylaxe sowie Gelenkstabilisierung durch Funktionsschienen, Steh-, Geh-, Sitz- und Greifhilfen zur Verfügung. Die Anfertigung von passgenauen Korsetts kann einer Verschlimmerung einer sekundären Wirbelsäulenverkrümmung vorbeugen.
Verschiedene Medikamente können die erhöhte Spannung der spastisch gelähmten Muskulatur senken. Zur Behandlung der Spastik kann in die betroffenen Muskeln Botulinumtoxin („Botox“) lokal injiziert werden, was die Muskelspannung über einen gewissen Wirkungszeitraum senkt. Dies wird bei uns kurzstationär (1 Nacht) unter leichter Sedierung (Patient schläft, atmet aber selbstständig) und unter Ultraschallkontrolle durchgeführt, um den Patienten die Angst vor dem „Eingriff“ und dem Stich der Nadel zu nehmen. Zusätzlich stehen ein entsprechender Kindereinschlaf- und –aufwachraum zur Verfügung in welchem die Eltern jederzeit anwesend sein können.


Bei der Behandlung der infantilen Zerebralparese führen wir auch (wenn notwendig) operative Korrekturen durch, die die im Rahmen der Grundkrankheit auftretenden Fehlstellungen korrigieren, wie zum Beispiel Weichteileingriffe im Bereich der Hüfte ebenso wie knöcherne Hüftgelenksrekonstruktionen, die Korrektur von Rotationsdeformitäten und Achsfehlstellungen, Muskelverlängerungen und -verlagerungen der unteren Extremität und operative (knöchern und weichteilige) Fußkorrekturen.

Schädigungen und Fehlbildungen des Rückenmarks, Myelomeningozele (MMC, Unterform der Spina bifida)

Die Spina bifida ist eine Verschlussstörung der Wirbelbögen mit begleitenden neurologischen Ausfällen.
Die körperliche Beeinträchtigung hängt vom Schweregrad der Fehlbildung ab. Es treten Probleme beim Laufen bis hin zur Lähmung der Beine auf. Ein weiteres typisches Symptom ist eine verminderte oder komplett aufgehobene Empfindung. Weiterhin ist die Kontrolle über Darm und Blase eingeschränkt. Ein Hydrozephalus (Ansammlung von Hirnwasser in den Hirnwasserkammern wegen einer Ableitungsstörung) tritt häufig auf.

Diagnostik und Therapie:

An konservativen Maßnahmen werden bei dieser Erkrankung Versorgungen mit Orthesen und Gehapparaten durchgeführt. Die Hilfsmittelversorgung der Kinder erfolgt individuell. Trotz konsequenter Therapie kann es bei den Kindern zu Fehlbildungen im Bereich der Wirbelsäule, der Hüfte, der Kniegelenke und der Füße kommen. Hier werden dann zum Teil auch operative Eingriffe an den entsprechenden Gelenken und Knochen notwendig.

Muskeldystrophie (Duchenne)

Es handelt sich hierbei um eine Gruppe von Muskelerkrankungen. Es sind Erbkrankheiten, welche zu Muskelschwäche und Muskelschwund führen. Eine ursächliche Behandlungsmöglichkeit, die das Fortschreiten der Muskeldegeneration aufhalten kann, ist nicht bekannt.
Bei der Muskeldystrophie Duchenne besteht eine zunehmende Schwäche der Muskulatur mit rascher Ermüdbarkeit. Im Krankheitsverlauf kommt es zunächst zu einem Verlust der Geh- und Stehfähigkeit, später ggf. sogar der Sitzfähigkeit.

Diagnostik und Therapie:

Ziel der Therapie ist die möglichst lange Erhaltung der Gehfähigkeit der Patienten. Hier werden Weichteileingriffe durchgeführt. Nach Verlust der Geh- und Stehfähigkeit kommt es in der Regel zu einer Verschlechterung der Rumpfkontrolle mit zunehmender skoliotischer Deformierung der Wirbelsäule mit Notwendigkeit einer operativen Stabilisierung.

In unserer kinderorthopädischen Sprechstunde werden die notwendigen Hilfsmittelversorgungen durchgeführt sowie im Krankheitsverlauf deren Passfähigkeit überprüft.

Arthrogryposis multiplex congenita

Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) ist eine angeborene Gelenksteife. Sie kann einzelne Gelenke oder auch mehrere Gelenke betreffen.
Das typische Merkmal sind die Versteifungen (so genannte Kontrakturen), wie zum Beispiel Knie-Beugekontrakturen und Klumpfüße.

Diagnostik und Therapie:

Wichtige therapeutische Erfolge werden mit Physiotherapie und Ergotherapie erzielt. Orthopädische Schienen oder Schuhe sind für manche Betroffene mit AMC hilfreich. Betroffene mit sehr schwachen Muskeln können durch leichte Orthesen das Gehen erlernen.  Nach operativen Korrekturen kann das erreichte Ergebnis durch Schienen stabilisiert werden. Wichtigstes Ziel aller Maßnahmen ist, die Funktion der Gelenke zu verbessern und dem Betroffenen ein möglichst unabhängiges und selbständiges Leben zu ermöglichen.

Periphere Muskelerkrankungen (HMSN)

Die Hereditäre motorisch-sensible Neuropathien (HMSN) ist eine vererbbare Nervenkrankrankheit, welche kontinuierlich voranschreitet. Gemeinsames Merkmal ist die an Händen und Füßen beginnende und im Verlauf sich allmählich weiter ausbreitende Schwäche. Sie geht mit einem Muskelschwund einher. Außerdem finden sich bei einem Teil der Patienten Skelettanomalien, die vor allem die Wirbelsäule und die Füße betreffen (u.a. Rückgratverkrümmung (Skoliose), unvollständiger Bogenschluss an den Wirbelkörpern, Hohlfußbildung).

Diagnostik und Therapie:

Physiotherapie ist die wichtigste symptomatische Behandlung. Bewegungstherapie mit passiver Mobilisierung dient der Vermeidung von Fehlstellungen von Gelenken. In fortgeschrittenen Stadien müssen ggf. spezielle Hilfsmittel (orthopädisches Schuhwerk, Schienen, Rollstuhl) eingesetzt werden.
Auch kommen eventuell operative Eingriffe in Frage, z.B. wenn bei Hammerzehen die Gefahr einer Geschwürbildung am Grosszehenballen besteht oder wenn durch Überwiegen der Fuss- und Zehenheberschwäche eine Verrenkungsstellung des Fusses in Einwärtsdrehung droht. Schliesslich können unter Umständen auch Gelenkversteifungsoperationen nützlich sein.