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15.05.2019

Wenn der Krebs das Familienleben auf den Kopf stellt

Jacinta und Bernadette mit Mutter Anna vor der Cnopfschen Kinderklinik Diakonie Neuendettelsau/Claudia Pollok

Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, verändert sich das Leben der ganzen Familie. Schlagartig bestimmt der Kampf gegen die Krankheit den Alltag. Darunter leiden auch Geschwisterkinder. Statt Arbeit, Kindergarten und Schule geben Chemotherapie und lange Krankenhausaufenthalte den Takt des Familienlebens vor. Während sich Eltern intensiv um das kranke Kind kümmern, können sie nicht im gleichen Maße für das gesunde da sein – eine Zerreißprobe für die Familie.

Jacinta und Bernadette laufen auf den bunten Brunnen der Cnopfschen Kinderklinik zu. Die beiden Schwestern lachen und halten sich an den Händen. Ihre Mutter Anna freut sich, dass sich ihre Töchter so nah sind. Die letzten Monate waren schwer für die Familie. Die fünfjährige Jacinta hat Krebs. Heute ist sie zur Nachsorge in die Ambulanz des kinderonkologischen Zentrums gekommen. Ein langer Krankenhausaufenthalt mit Chemotherapie liegt hinter ihr. Eine Zerreißprobe für die Eltern: Während sie Jacinta mit aller Kraft beim Kampf gegen den Krebs begleitet haben, versuchten sie für die achtjährige Bernadette den Alltag zuhause aufrecht zu erhalten.

Eine Familie in Schieflage

Diplom-Psychologin Friederike Fritsche weiß, dass diese Situation für Eltern ein schier unlösbarer Konflikt ist. Sie arbeitet beim Psychosozialen Fachdienst der Station Regenbogen und hat schon viele Familien betreut. Fritsche vergleicht das Gefüge einer Familie mit einem Mobile: „Bewegt sich ein Teil, bewegen sich alle mit. Die Diagnose Krebs hat das gesamte Mobile in eine extreme Schieflage gebracht. Die Familie steht jetzt vor der Herausforderung, ein neues Gleichwicht mit der Krankheit zu finden.“

Die Diplom-Psychologin hilft ihnen dabei. Sie versucht Eltern den Druck zu nehmen und kümmert sich auch um die Geschwisterkinder, wenn sie sieht, dass Bedarf da ist oder sie einfach Aufmerksamkeit brauchen. „Wir haben Geschwisterkinder auf der Station Regenbogen fest im Blick und wissen, dass sie ebenso leiden wie die Patientenkinder. Wir beziehen sie wo es geht bei Aktivitäten, wie Spielen und Singen, mit ein und sie erhalten auch ein Geschenk, wenn die Patienten zum Beispiel etwas vom Nikolaus bekommen.“

Trotzdem müssen Geschwisterkinder in dieser Zeit viel zurückstecken. Wenn sie selbst krank sind und einen Infekt haben, dürfen ihre Eltern sie nicht mit auf die Station nehmen. Auf die Eltern kommen immer wieder Situationen zu, in denen sie in Erklärungsnöte kommen, sagt Jacintas Mutter: „Wie mache ich es dem einen Kind begreiflich, dass das andere auf einmal Fast Food essen darf, weil es wegen der Medikamente Heißhungerattacken bekommt? Da hilft nur erklären, ganz viel erklären!“ Ihr und ihrem Mann ist es wichtig, dass Bernadette sich nicht vernachlässigt fühlt. Als sie Kommunion hatte, half die Familie bei der Betreuung von Jacinta, so dass die Eltern bei der Feier dabei sein konnten.

Ein neues Gleichgewicht finden

Ähnliche Erfahrungen hat auch die Familie von Felix gemacht. Als der Sechsjährige an Leukämie erkrankte, stand die Welt auf einmal auf dem Kopf. Während ihn seine Mutter Melanie im Krankenhaus begleitet, kümmern sich Vater und Oma um den vierjährigen Bruder Julian. „Als ich anfangs vom Krankenhaus nach Hause kam, wich Julian keinen Schritt von meiner Seite, wollte immer auf meinem Schoß sitzen“, erzählt Felixs Mutter. Dass Geschwisterkinder ihre Gefühle zeigen, ist sehr wichtig, erklärt Fritsche: „Wutanfälle sind zwar für die Eltern sehr anstrengend, aber viel besser, als wenn Geschwister alles in sich hineinfressen.“

Oft plagen die Kinder Ängste und Schuldgefühle. Auch hier hilft es, die Situation mit ihnen aufzuarbeiten. Fritsche stellt den Eltern kindgerechte Bücher über Krebs zur Verfügung, die auch schon sehr kleine Kinder verstehen. So fiebert Julian nun mit seinem Bruder mit, dass die „bösen schwarzen Fische“ in seinem Blut verschwinden – und es sieht gut aus. Die stationäre Chemotherapie geht zu Ende, in den Sommerferien fährt die vierköpfige Familie gemeinsam auf Reha.

Für Fritsche ist das eine ganz entscheidende Maßnahme. Vor 30 Jahren hat es solche Angebote noch nicht gegeben, aber heute ist das Verständnis da, dass Krebs die ganze Familie betrifft. In der Reha hat die Familie Zeit, sich nach der kräftezehrenden Chemotherapie zu erholen und neu zu sortieren. „Die Krankheit wird immer ein Teil ihres Mobiles bleiben, aber sie können einen guten Weg finden, wieder ein neues Gleichgewicht zu finden“, da ist sich die Diplom-Psychologin sicher.